Vergessen und missbraucht: Deutschland wird zum Markt für Menschenhändler

Opfer von Kinderprostitution werden immer jünger

Reuters Die Bundesregierung will stärker gegen Menschenhandel vorgehen: Hintermänner von Organhandel, Zwangsprostitution und Bettelkindern sollen härter bestraft werden
Tausende Kinder und Jugendliche werden jährlich zur Prostitution gezwungen. Die Opfer werden immer jünger. Ein Gesetz ließ lange auf sich warten. Nun soll ein Entwurf der Bundesregierung die Täter strenger bestrafen – doch immer noch nicht hart genug, kritisieren Verbände.
Es sind erschreckende Zahlen: Mindestens 40 000 Opfer – Kinder, Jugendliche und Frauen – werden in Europa jedes Jahr zur Zwangsprostitution gezwungen. Wie die „Welt“ am Samstag berichtet, ist die sexuelle Ausbeutung auch „in der Bundesrepublik ein großes Problem“. Deutschland sei ein wichtiger Markt für Menschenhändler.Die Masche der Täter ist meist die Gleiche: Sie locken ihre Opfer in Wohnungen, von denen es in Berlin beispielsweise dutzende gäbe, berichtete die Zeitung. Ausgestattet mit Spielzeug, Computer und Erwachsenen, die den Kindern zuhören und denen die oft vernachlässigten Opfer ihre Probleme erzählen können, werden sie fotografiert. Ihre Bilder werden dann an Freier geschickt. Allein im Berliner Bezirk Schöneberg soll es mehrere Lokale geben, in denen Kinder vermittelt würden. Oft sei die Kinderprostitution auch mit Adoption getarnt.

Jedes vierte Opfer ist unter 18 Jahre

Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass mehr als jedes vierte Opfer unter 18 Jahre alt ist, schreibt „Die Welt“. In Deutschland entdeckten die Polizisten 2011 bei Kontrollen rund 650 Geschädigte. Mehr als jeder Zehnte war zwischen 14 und 17 Jahre alt. 13 Opfer sollen sogar jünger als 14 gewesen sein.

482 Verfahren wegen „Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung“ wurden 2011 abgeschlossen. Doch die Dunkelziffer liegt deutlich höher. Viele Opfer müssten bei einer Aussage vor Gericht fürchten, ins Herkunftsland abgeschoben zu werden – womöglich würden sie dort wieder in die Hände der Menschenhändler fallen, schreibt die „Welt“. Deshalb muss den Opfern „eine Perspektive“ gegeben werden. „Sie brauchen Sicherheit über ihre persönliche Zukunft nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens“, sagt Heidemarie Rall, Expertin des Bundeskriminalamts für Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung, der Zeitung.

„Zwangsprostitution ist in der Bundesrepublik ein großes Problem“

Und was macht die Regierung während irgendwo in Deutschland Mädchen versklavt, Frauen missbraucht und Kinder zur Zwangsprostitution gezwungen werden? Sie lässt sich Zeit mit einem Gesetzesentwurf, der Opfern mehr Schutz bieten soll. Familienministerin Kristina Schröder (CDU) kündigte vor fast zwei Jahren einen Entwurf an, der Menschenhandel und Zwangsprostitution erschwere, berichtete die „Welt“ weiter. Doch das Gesetzespaket scheiterte am Widerstand in den eigenen Reihen.

Die Regierung versucht nun, einen EU-Richtlinie aus dem Jahr 2011 umzusetzen. Ein Gesetzesentwurf, der Hintermänner von Organhandel, Zwangsprostitution und Bettelkindern härter bestrafen soll, wurde neu aufgearbeitet. Dieser soll fristgerecht zum 6. April dieses Jahres umgesetzt werden. „Der Menschenhandel zum Zwecke der Organentnahme, der derzeit lediglich als Beihilfe zu Straftaten nach dem Transplantationsgesetz strafbar ist“ soll „ausdrücklich (…) unter Strafe gestellt werden“, gehe es aus dem Entwurf des Justizministeriums hervor, berichtete die „Welt“.
Das geplante Gesetzt sehe vor allem zwei Änderungen der Strafprozessordnung vor: Zum einen solle auch Menschenhandel bestraft werden, der im Zusammenhang mit Bettelei, Organhandel, Drogenhandel und Diebstahl stehe, so die Zeitung. Zum anderen sollen künftig auch Jugendliche bis zum Alter von 18 Jahren nach Paragraph 233 des Strafgesetzbuches als besonders schutzbedürftig stehen, schrieb die „Welt.Ein erschreckender Fakt: Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung vom September 2012 habe deutsche Bemühungen, Opfer zu schützen, seit 2010 sogar deutlich nachgelassen, berichtete die Zeitung.

Verbände kritisieren den Entwurf als „eine minimale Strafrechtsänderung“

Opposition und Opferverbände halten den Entwurf für unzureichend. „Die Bundesregierung glaubt offensichtlich, dass Menschenrechtspolitik sich darin erschöpft, Konventionen zu unterzeichnen und warme Worte zu sprechen“, sagte Volker Beck, menschenrechtspolitischer Sprecher der Grünen der „Welt“. „Das Gegenteil ist aber der Fall. Es ist harte Arbeit.“ Nur wer den Opferschutz verbessere, könne das Dunkelfeld aufhellen und die Strafverfolgung verbessern, so die Zeitung.

Die Arbeitsgemeinschaft Ecpat, die Kinder vor sexueller Ausbeutung schützen will, kritisiert, der Entwurf des Justizministeriums sei „eine minimale Strafrechtsänderung“. Er setze vieles Wichtige von dem nicht um, was Brüssel in seiner Richtlinie fordere. Zudem erfülle Deutschland grundlegende Voraussetzungen nicht, um Kinder besser zu betreuen, die Opfer von Menschenhändlern geworden sind. Demnach fehlten Unterbringungsmöglichkeiten, schrieb die „Welt“.

Danke an Focus online für die gute kritische Berichterstattung!
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