Studie über Zeit vor 1970
55 Heimkinder Opfer sexueller Gewalt

In zwei katholischen Heimen im Bistum Limburg sind vor Jahrzehnten laut einer Studie 55 Kinder und Jugendliche Opfer sexueller Übergriffe geworden – weit mehr als bekannt. Die Ergebnisse der Studie überstiegen alles, „was ich mir jemals vorgestellt habe“, betonte Geschäftsführer Casper Söling.

Sexuellen Missbrauch und Misshandlungen von Heimkindern in den Nachkriegsjahren hat eine wissenschaftliche Studie für zwei katholische Einrichtungen im Bistum Limburg untersucht. Aus dem St. Vincenzstift Aulhausen bei Rüdesheim und aus dem Jugendheim Marienhausen hätten sich bislang allein 55 Personen wegen sexueller Übergriffe bis hin zu Vergewaltigungen gemeldet, teilte der Geschäftsführer der Sankt Vincenzstift gGmbH und Träger der heutigen Jugendhilfe Marienhausen, Caspar Söling, in Rüdesheim mit.

Körperliche und seelische Züchtigung
Viele weitere Kinder und Jugendliche hätten zwischen 1945 und 1970 strenge, demütigende Strafen, quasi-militärischen Drill sowie körperliche und seelische Züchtigungen erlitten, heißt es in der Studie des Lehrstuhls Kirchengeschichte der Ruhr-Universität Bochum, die am Sonntag im Beisein ehemaliger Heimkinder vorgestellt wurde. Vertreter der Ordensgemeinschaften der Dernbacher Schwestern und der Salesianer Don Boscos, deren Ordensleute die Häuser damals geleitet hatten, zeigten sich entsetzt und entschuldigten sich. „Einzelne sind ihrer Verantwortung als Christen, als Ordenschristen, nicht gerecht geworden. Das bewegt mich zutiefst“, erklärte die Provinzoberin der Dernbacher Schwestern, Simone Weber. Auch der Vertreter der Salesianer Don Boscos, Provinzialvikar Pater Reinhard Gesing, bat die Opfer um Verzeihung.

Söling erklärte, die Ergebnisse „übersteigen alles, was ich mir jemals vorgestellt habe“. Er hatte die Studie in Auftrag gegeben, nachdem 2009 schwere Vorwürfe gegen das Sankt Vincenzstift und vor allem gegen seinen früheren Direktor, den Geistlichen

, bekannt geworden waren.

Direktor als Haupttäter
Im einzelnen meldeten sich für das Sankt Vincenzstift mehr als 40 ehemalige Heimkinder. „Davon berichteten 15 von sexueller Gewalt in der Zeit von 1958 bis 1970. Überwiegend durch Direktor Müller, aber auch von einem Mitarbeiter, Schwestern und dem damaligen für das Vincenzstift tätigen Arzt“, so die Studie. Weitere 15, noch im Stift lebende Personen hätten von ähnlichen Übergriffen in dieser Zeit erzählt. Mit Blick auf die Jugendhilfe Marienhausen meldeten sich bei den Salesianern 51 ehemalige Heimkinder. 25 berichteten von sexuellen Übergriffen und sexueller Gewalt.

Die Studie betont zugleich, dass sich die Pädagogik der beiden Einrichtungen in vielen Fällen im Rahmen des damaligen strengen Erziehungsstils bewegt habe. Den Alltag erschwert hätten auch fehlende finanzielle Mittel, Gruppengrößen von bis zu 40 Kindern und Überforderung der Mitarbeiter. „Die Studie zeigt, dass nicht alle Täter waren, zahlreiche positive Erinnerungen von Ehemaligen belegen uns das“, betonte Söling.

„Strukturelle Schuld der Kirche“
Die teilweise schweren Vergehen seien aber nicht durch schwierige Rahmenbedingungen zu entschuldigen. Sie seien möglich geworden, weil „Kleriker ihre Schandtaten als Gottes Strafe darstellten und damit die Opfer mundtot machten“. Auch hätten Schwestern und Mitarbeiter in falscher Ehrfurcht geschwiegen. Den Amtsträgern sei es mehr um das Ansehen der Kirche gegangen als um die Würde der Opfer. Deshalb handele es sich auch um eine strukturelle Schuld der Kirche, betonte Söling.

15.09.2013, Quelle: dpa, kna

Originallink mit Videos: http://www.heute.de/55-Heimkinder-Opfer-sexueller-Gewalt-29759242.html